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KONTEXT

- Programmheft


KOMPONIST:INNEN-FESTIVAL
21.-24. SEPTEMBER 2023 
GALERIE OBERURSEL 


Fanny Hensel (1805 - 1847) 


„Ein besseres Publikum kann man wirklich nicht haben. Ich schreibe auch jetzt viel; nichts spornt mich so an als Anerkennung wogegen mich Tadel mutlos macht und niederdrückt. (…) Es kostet uns einen schweren Kampf von Rom fortzugehen; Ich hätte nie gedacht, dass es mir einen so tiefen Eindruck machen würde. Ich will gar nicht verhehlen, dass die Atmosphäre von Bewunderung und Verehrung, von der ich mich hier umgeben sehe, wohl etwas dazu beitragen mag, ich bin in meiner frühen Jugend lange nicht so angeraspelt worden wie jetzt und wer kann leugnen, dass das sehr angenehm und erfreulich ist?“ (Fanny Hensel, 1839)

Welcher Deutsche kennt sie nicht - die Sehnsucht nach Italien? Doch welchen Wandel muss der Aufenthalt 1839/40 im Land, wo die Zitronen blühen für Fanny Hensel bedeutet haben? Es ist ein Erweckungserlebnis, der Beginn ihrer Emanzipation. Erst in den Jahren danach macht sie wirklich von der künstlerischen Freiheit Gebrauch, eigene Werke unter eigenem Namen zu veröffentlichen. In Rom stößt sie auf vorbehaltlose Anerkennung durch Publikum und andere Komponisten wie dem deutlich jüngeren Charles Gounod, der sie geradezu anbetet. Zum ersten Mal erlebt sie sich uneingeschränkt als Künstlerin. Die Sehnsucht nach Italien erwacht allerdings schon deutlich früher in ihrem Leben. 1822 unternimmt die Familie Mendelssohn eine Reise in die Schweiz, wo die übermächtigen Alpen das gelobte Land noch verbergen und nur ahnen machen.

„Die Idee des Landes, welches hinter jenen Gebirgen beginnt, die fühlbare Nähe Italiens, der kleine Umstand, daß die Landleute alle in Italien waren, Italienisch reden und den Wanderer mit den süßen Lauten der lieblichen Sprache begrüßen, rührte mich unendlich. Wäre ich an diesem Tage ein junger Bursch von 16 Jahren gewesen, bei Gott! Ich hätte zu kämpfen gehabt, um keinen dummen Streich zu begehen.“ (Fanny Mendelssohn, 1822)

Wäre sie ein Bursche gewesen, wäre ihr Leben vermutlich ohnehin gänzlich anders verlaufen…
Auf jener Reise durch die Schweiz komponiert die Sechzehnjährige das Lied „Sehnsucht nach Italien“ auf einen Text von Johann Wolfgang von Goethe.
1822 hatte Fanny bereits ihren zukünftigen Ehemann Wilhelm Hensel kennen gelernt. Zur Hochzeit kam es allerdings erst 1829, nachdem der Maler einen fünfjährigen Studienaufenthalt in Rom und das damit auferlegte Kontaktverbot zu Fanny hinter sich gebracht hatte. Die beiden Verliebten durften lediglich durch eine Korrespondenz zwischen Wilhelm und Fannys Mutter Lea in schriftlicher Verbindung bleiben.
Nach der lange ersehnten Heirat bezieht das Paar den Gartentrakt der Leipziger Straße 3 in Berlin, einem Anwesen der Familie Mendelssohn und führt eine harmonische Ehe. Wilhelm unterstützt Fanny bedingungslos, auch in ihren Bedürfnissen als Künstlerin. Die kleine Familie wird durch einen einzigen Sohn ergänzt, getauft auf den Namen Sebastian Ludwig Felix - eine Hommage an Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und den geliebten Bruder Felix.
1841, ein Jahr nach dem kostbaren Italienerlebnis entsteht das Gemeinschaftswerk „Das Jahr“ mit 12 Charakterstücken für Klavier Solo Fanny Hensels sowie Gedichten und Zeichnungen Wilhelm Hensels. Das Jahr verarbeitet die berauschende Wirkung der neuen Eindrücke, aber auch die Melancholie ob derer Vergänglichkeit.
Fannys Schwermut über die herannahende Heimreise drückt sich dringlich in einem noch während der Reise entstandenen Klavierstück mit dem Titel „Abschied von Rom“ aus. Das Stück ist Teil eines Reise-Albums, einer Art musikalischem Reisetagebuch, das Fanny selbst zusammenstellt.

Fanny und Felix

„Ich bin ganz ruhig, lieber Felix, und dein Bild steht neben mir; aber indem ich deinen Namen niederschreibe und du mir so ganz vor leiblichen Augen stehst, weine ich (…). Ich habe zwar immer gewusst, dass nichts kommen könnte, dass ich nichts Neues lernen würde, was dich auch nur für den zehnten Teil eines Augenblicks aus meinem Gedächtnis entfernen könnte, ich freue mich aber, es nun erlebt zu haben und ich werde dir morgen und in jedem Moment meines Lebens dasselbe wiederholen können, und glaube nicht, Hensel damit Unrecht zu tun. Und dass du mich so liebst, das hat mir einen großen inneren Wert gegeben und ich werde nie aufhören, sehr viel auf mich zu halten, so lange du mich liebst.“

Diese Zeilen richtet Fanny am Tag ihrer Hochzeit an ihren Bruder Felix, der unglücklicher Weise nicht zugegen sein kann. Für den heutigen Leser mag die Innigkeit und Zärtlichkeit ihrer Worte inzestuös anmuten, im 19. Jahrhundert jedoch ist diese Form der Romantisierung geschwisterlicher Liebe durchaus im Rahmen des Normalen. Und doch scheint eine aus heutiger Sicht toxische Abhängigkeit und Überhöhung des Bruders zwischen den Zeilen hindurch. Felix wird in Fannys Leben einerseits Motor und Inspirationsquelle ihres künstlerischen Schaffens, andererseits gestrenger, über ihre gesellschaftlich vorbestimmte Rolle wachender Patriarch sein. Mit dem Tod des Vaters 1835 tritt Felix die Rolle des Familienoberhauptes an. Wenn der Vater bereits 1820 gegenüber seiner Tochter Fanny unumstößlich feststellt…:

„Die Musik wird für ihn (Felix) vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, niemals Grundbass deines Seins und Tuns werden kann und soll; ihm ist daher Ehrgeiz, Begierde, sich geltend zu machen in einer Angelegenheit, die ihm sehr wichtig vorkommt, weil er sich dazu berufen fühlt, eher nachzusehen, während es dich nicht weniger ehrt, dass du von jeher dich in diesen Fällen gutmütig und vernünftig bezeugt und durch deine Freude an dem Beifall, den er sich erworben, bewiesen hast, dass du ihn dir an seiner Stelle auch würdest verdienen können. Beharre in dieser Gesinnung und diesem Betragen, sie sind weiblich und nur das Weibliche ziert die Frauen.“ (Abraham Mendelssohn an Fanny)

…so tut Felix nur, was von ihm als Mann und Bruder erwartet wird, wenn er über jegliche Wünsche und Träume Fannys hinweggehend behauptet (wenn auch mit einem Hauch von Verständnis für die Ausweglosigkeit ihrer Situation):

„Mir tut es Leid, dass sie (Fanny) seit ihrer Verheiratung die Komposition nicht mehr so fleißig treiben kann, wie früher, denn sie hat mehrere Sachen, namentlich deutsche Lieder komponiert, die zum allerbesten gehören, was wir von Liedern besitzen; doch ist es wieder auf der anderen Seite gut, dass sie an ihrem Hauswesen viel Freude findet, denn eine Frau, die es vernachlässigt, und sei es nun für Ölfarben oder für Reime oder für doppelten Kontrapunkt erinnert mich immer unwillkürlich an das Grec aus den Femmes Savantes und ich habe Furcht davor. Das ist nun also Gottlob nicht der Fall bei meiner Schwester..“ (Brief an die Pianistin Marie Bigot, bei der Fanny und Felix 1816 während eines Paris-Aufenthaltes Unterricht genommen hatten)

Felix ist alles andere als ein Frauenfeind, auch schaffende Frauen sind für ihn an sich kein Anlass zur „Furcht“. Als er 1827 die 1815 geborene Pianistin, Sängerin und Komponistin Josephine Lang kennen lernt, rät er ihr, nach Berlin überzusiedeln, um sich dort unter anderem von seiner Schwester Fanny weiter ausbilden zu lassen. Auch bei der Veröffentlichung ihrer Lieder leistet er einen erheblichen Beitrag. Jedoch ist Josephine keine Frau, für deren gesellschaftliche Rolle er sich verantwortlich fühlt. Es gilt zu bedenken, dass die Kinder Mendelssohn 1816 christlich getauft wurden. Der Antisemitismus sorgte zu Beginn des 19. Jahrhunderts für heftige Unruhen und versetzte auch die Familie Mendelssohn in Bedrängnis. Gewiss gehört die Sorge, die Tochter könnte durch unsittliches Verhalten, wie das „Sich-in-der-Öffentlichkeit-Produzieren“, ein schlechtes Licht auf die Familie werfen, zu einem nachvollziehbaren Anpassungszwang, wie er in vielen bürgerlich-jüdischen Haushalten zu beobachten ist. Vater Abraham Mendelssohn war loyaler Preuße, der sich nicht scheute, in die eigene Tasche zu greifen, um Freiwillige im Kampf gegen Napoleon aufzurüsten. Das Bestreben, eine makellose bürgerliche Familie zu führen, bedeutete für Fanny, sich mit einer Rolle als Hausfrau und Mutter abzufinden. Gleichzeitig diente Bildung als essentielles Akkulturations-Vehikel, weswegen die formidable Ausbildung, die Fanny in ihrer Kindheit und Jugend genießt, wenig überrascht. Sie ist nicht nur ausgezeichnete Pianistin und Komponistin, sondern auch belesen, mehrsprachig und allgemeingebildet. Ihr literarisches und intellektuelles Talent - ein Erbstück der Familie: man denke an Großvater Moses Mendelssohn, Aufklärungsphilosoph, oder an die schriftstellerisch tätige, hochtalentierte Tante Dorothea Schlegel - zeichnet sich deutlich in Fannys klugen und poetischen Briefen ab.

Die Geschwister Fanny und Felix bewegen sich in einem Spannungsverhältnis von grenzenloser Liebe und Verehrung und gegenseitiger Abhängigkeit. Kann es Zufall sein, dass Felix seine Schwester, die 1847 an einem Hirnschlag stirbt, um kaum ein halbes Jahr überlebt? Er komponiert in dieser letzten Lebenszeit noch sein Streichquartett f-Moll, ein zutiefst abgründiges, düster beklemmendes Werk. Felix veranlasst nach dem Tod seiner Schwester die Herausgabe mehrerer ihrer Werke (Op. 8-11) und entschließt sich damit im letzten Moment zu dem, was er ihr zu Lebzeiten nicht gewähren konnte. Auch Wilhelm Hensel bleibt in schwerer Depression zurück, in den 15 Jahren, die er ohne Fanny auf der Erde weilt, malt der einst erfolgreiche, fleißige Künstler kein einziges Bild mehr.

Sonntagsmusiken

Obgleich Frauen der Zugang zu öffentlichem Auftreten in erdrückend vielen Fällen verwehrt blieb, gab es zumindest einen halböffentlichen Raum, wo sie als Protagonistinnen agierten: Der Salon.
In Fannys Familie und Umfeld gibt es dafür etliche Beispiele und Vorbilder. Zum Dunstkreis der Mendelssohns gehören nicht nur Rahel Varnhagen und Henriette Herz, deren literarische Salons zu den legendärsten des 19. Jahrhunderts zählen, sondern auch Fannys Großtante Sarah Levy, ihre Tante Dorothea Schlegel und ihre Großmutter Bella Salomon. Sarah Levy führte einen musikalischen Salon, der für die Pflege und den Erhalt der Musik Johann Sebastian Bachs Unermessliches geleistet hat. Daran anknüpfend veranstaltete schon Fannys Großmutter Bella Salomon Hausmusiken und szenische Bilder, die in ihrer Tochter Lea weiterlebten. Die große Bedeutung Johann Sebastian Bachs im musikalischen Leben der Kinder Fanny und Felix geht sicher auch sowohl auf Leas Begeisterung für Bachs Musik als auch den Einfluss der Großtante Sarah Levy zurück. Bei der Geburt Fannys soll Lea freudig ausgerufen haben, das Kind habe „Bachsche Fugenfinger“. Fanny beherrscht im Alter von dreizehn Jahren dann tatsächlich das „Wohltemperierte Klavier“ vollständig und auswendig, was sie anlässlich des Geburtstages ihres Vaters präsentiert. Die Mendelssohnschen Sonntagsmusiken dienen zunächst vor allem dazu, dem Talent der offensichtlich hochbegabten Kinder Fanny und Felix eine Bühne zu bieten. 1829, Fanny hat inzwischen geheiratet und Felix bestreitet seine ersten Künstlerreisen, übernimmt Fanny dann die Leitung der teilweise hochkarätig und stark frequentierten Konzertveranstaltungen im Gartenhaus der Leipziger Straße 3.

„Vorigen Sonntag war auch bei uns die brillanteste Sonntagsmusik, die, glaube ich, noch jemals stattgefunden hat, sowohl was Aufführung und Publikum betraf. Wenn ich dir sage, dass zweiundzwanzig Equipagen auf dem Hof und Liszt und acht Prinzessinnen im Saal waren, so wirst du mir die nähere Beschreibung des Glanzes in meiner Hütte kaum erlassen“
So schreibt Fanny 1844 an ihre Schwester Rebecca, selbst versierte Sängerin und Interpretin von Fannys Liedern. In den Sonntagsmusiken tritt Fanny nicht nur als Veranstalterin, sondern auch als Dirigentin und Komponistin auf.

„Die Proben zu den Aufführungen, welche Frau Hensel am Klavier dirigierte, fanden gewöhnlich Samstag Abend statt, und da nur sehr geübte Sänger mitwirkten, bedurfte es kaum ein- oder zweimaligen Durchsingens und einer kurzen Abrede. Am darauffolgenden Sonntag, zwischen 11 und 2 Uhr, war die Aufführung vor großer Gesellschaft in dem sehr geräumigen Gartensaal. In der warmen Jahreszeit standen die Glastüren offen und während der Pausen wandelten Sänger und Gäste unter den mächtigen Baumgruppen des sich bis nahe an die Stadtmauer streckenden Gartens. Hensels Atelier stieß an eine Seite des Musiksaals und durch die Flügeltüren sah man eines oder mehrere seiner historischen Bilder aufgestellt. (…)Fast alle berühmten Künstler, die Berlin besuchten, erschienen Sonntags einmal mitwirkend oder zuhörend bei Frau Hensel…Mehr als die größten Virtuosen und die schönsten Stimmen, die ich dort hörte, galt mir der Vortrag Fanny Hensels und ganz besonders die Art, wie sie dirigierte. Es war ein Aufnehmen des Geistes der Kompostion bis zur innersten Faser und das gewaltigste Ausströmen desselben in die Seelen der Sänger und Zuhörer. Ein Sforzando ihres kleinen Fingers fuhr uns wie eine elektrischer Schlag durch die Seele und riss uns ganz anders fort, als das hölzerne Klopfe eines Taktstocks auf ein Notenpult es tun kann.“ (Johanna Kinkel 1886 in Erinnerung an die Sonntagsmusiken)

Wahrscheinlich werden in diesem Rahmen auch Fannys großformatige Werke (Kantaten, Oratorien usw.) aufgeführt. Entgegen Felix’ Annahme komponiert sie unermüdlich, auch wenn ihr das öffentliche Interesse an ihren Werken schmerzlich fehlt. Selbst als Mutter Lea sich flehend an den Sohn wendet, er möge Fanny darin bestärken, ihre Musik zu veröffentlichen, reagiert dieser ablehnend und verständnislos.

„Aber ihr zureden, etwas zu publizieren, kann ich nicht, weil es gegen meine Ansicht und Überzeugung ist…Und zu einer Autorschaft hat Fanny, wie ich sie kenne, weder Lust noch Beruf - dazu ist sie zu sehr eine Frau, wie es recht ist, sorgt für ihr Haus und denkt weder an das Publikum noch an die musikalische Welt, noch sogar an die Musik, außer, wenn jener erste Beruf erfüllt ist. Darin würde sie das Druckenlassen nur stören und ich kann mich eben einmal nicht damit befreunden“ (Felix Mendelssohn an seine Mutter Lea)

Das allerdings sind Wunschvorstellungen und Zuschreibenden. In Wahrheit leidet seine Schwester an ihrer musikalischen Isolation und dem Mangel an Austausch und Selbstwirksamkeit. Dabei schätzt Felix Fannys Werke über die Maßen, er hält ihre Lieder sogar für die besten, die je geschrieben wurden… In Jugendjahren veröffentlicht er noch gemeinschaftlich angelegte Liederzyklen (Mendelssohn Op. 8 enthält drei Lieder aus Fannys Feder: „Suleika“, „Das Heimweh“ und „Italien“, Op. 9 „Sehnsucht“, „Verlust“ und „Die Nonne“). 

Auch wenn uns eine gewisse Wehmut befällt angesichts der Widerstände, auf die Fanny Hensel als Musikerin stoßen musste, müssen wir die Tatsache beim Namen nennen, dass sie das Privileg genoss ohne finanziellen oder öffentlichen Druck komponieren zu können. Sie verfügte über eine entsprechende Ausbildung, lebte an der Seite eines liberalen, künstlerisch schaffenden Mannes und brachte lediglich ein einziges Kind zur Welt. Während Josephine Lang bereits im Alter von zwölf Jahren bis zu acht Stunden täglich Klavierunterricht erteilte, um das Familieneinkommen aufzubessern, Clara Schumann sich von Kindesbeinen an einer unberechenbaren Öffentlichkeit stellte, Nanette Streicher-Stein als Siebenjährige ihren Vater auf Geschäftsreisen begleitete, um seine Instrumente zu präsentieren (um nur wenige Beispiele zu nennen, bei denen Frauen wirtschaftlich auf ihre Musik angewiesen waren), kämpfte Fanny „nur“ mit ihrer musikalischen Einsamkeit. Wenn sie auch für die Schublade komponierte - sie komponierte. Wenn sie auch nicht öffentlich auftrat - sie war eine exzellente Pianistin. Depression und Euphorie standen auch in ihrem Leben in beinahe symbiotischer Beziehung, wie dies bei so vielen Künstlerinnen der Fall war. Der berühmte Bruder mag ihr bei aller Liebe und Bewunderung  Steine in den Weg gelegt haben - er ist allerdings sicher auch ein wesentlicher Grund, warum sie über ihren Tod hinaus nicht in Vergessenheit geraten ist. 

Clara Schumann (1819 - 1896)


„…natürlich bleibt es immer Frauenzimmerarbeit, bei denen es immer an der Kraft und hie und da an der Erfindung fehlt..“

…so Clara Schumann 1846 über eine eigene Komposition, das Klaviertrio in g-Moll, in jener Epoche der Originalgenies, der dämonischen Virtuosen, der Kunstmystiker und Engelswesen.
Kraft und Erfindung - Kampfbegriffe männlicher Bühnenexzesse, die den Hörer ins Jenseits blicken, ja sogar abdriften lassen…
Was formuliert Clara hier? Objektive Selbstkritik? Die obligatorischen künstlerischen Selbstzweifel? Mutlosigkeit angesichts des kompositorischen Schwergewichts an ihrer Seite?
Oder einfach: Ergebnis gesellschaftlicher Einschüchterung?                               

Kaum eine Frau des Musiklebens im 19. Jahrhundert ist so ambivalent wie Clara Schumann - zugleich fortschrittlich und traditionell, zugleich konformistisch und rebellisch, zugleich Engelswesen und Hohepriesterin…

Clara wird 1819 in Leipzig geboren. Bereits vor ihrer Geburt entscheidet der Vater, das Kind, sollte es ein Mädchen sein, zur Pianistin auszubilden. Gilt ein Mädchen als leichter formbar? Verspricht ein weibliches Wunderkind größeren Absatz als ein männliches?
Folgende Worte Claras über ihre Erziehung sollten in jeglichen Betrachtungen ihrer Ausbildung und ihrer Beziehung zum Vater immer mitschwingen:

„Die Leute, die von solcher ernster Erziehung keinen Begriff haben, legten alles als Grausamkeit aus und hielten meine Leistungen, die wohl über das kindliche Alter hinausgehen mochten, nicht für möglich, ohne dass ich Tag und Nacht studiert haben müsse, während es gerade das pädagogische Genie meines Vaters war, das bei mäßigem Studium durch die vernünftigste Pflege auch des Geistes und Gemütes mich so weit brachte“

Es wäre also voreilig geurteilt, den Vater als eigennützigen, rücksichtslosen Despoten zu diskreditieren. Was hatte Friedrich Wieck wohl im Sinn, als er aus Clara eine Künstlerin formen wollte? Den eigenen Ruhm erhöhen? Sicher auch das. Clara stellt den lebendigen Beweis für die Wirksamkeit und Unanfechtbarkeit seiner Lehrmethoden. Friedrich Wieck ist außerdem Inhaber einer Klavierfabrik, deren Geschäfte durch die zauberhafte Tochter begünstigt werden. Sie ist in gewisser Hinsicht sein eigentliches Kapital. Und dennoch: Wieviele Stunden muss der Vater mit der erzieherischen Pflege der Tochter zugebracht haben? Ist die spätere Verbitterung über die Emanzipation der Tochter aus der väterlichen Kontrolle also eine im Grunde nachvollziehbare, wenngleich nicht legitime Reaktion? Wiecks Ansprüche auf die Teilhabe an Claras Leben haben für ihn am Ende der Zweisamkeit sogar eine finanzielle Dimension: Nach der Heirat mit Robert Schumann, die Friedrich Wieck mit allen Mitteln zu verhindern sucht, fordert er Erstattung für die geleistete Ausbildung seiner Tochter.
Die symbiotische Beziehung zwischen Vater und Tochter funktioniert, solange Clara ein Kind ist. Die Identitäten der beiden lösen sich ineinander auf - so sehr, dass Vater Wieck als „Clara" ein Kindertagebuch führt. In einer Zeit der Brief- und Tagebuchkultur als halböffentlicher literarischer Gattung soll das allein kein Anlass zum Naserümpfen sein, allerdings dient die schriftliche Dokumentation des Lebens und Schaffens auch als eine Art Gewissensbildung. So lesen wir beispielsweise:

„Mein Vater, der längst schon vergebens auf eine Sinnesänderung von meiner Seite gehofft hatte, bemerkte heute nochmals, dass ich immer noch so faul und nachlässig, unordentlich, eigensinnig, unfolgsam etc. sei, dass ich dies auch namentlich im Klavierspiel und Studieren desselben sei und weil ich Hinten neue Variationen Op. 26 in seiner Gegenwart so schlecht spielte und nicht einmal den ersten Teil der ersten Variation wiederholte, so zerriss er das Exemplar vor meinen Augen und von heute an will er mir keine Stunden mehr geben und ich darf nichts mehr spielen als die Tonleitern, Cramer Etüden und Czerny Trillerübungen“

Nicht nur der heutige Leser empfindet diese Art moralischer Unterwerfung und den Tauschhandel - Leistung gegen Liebe - als Grausamkeit. Robert Schumann, der 1828 im Hause Wieck als Schüler einzieht, schildert in seinem Tagebuch:

„Ich sah gestern Abend  einen Auftritt, dessen Eindruck unauslöschlich sein wird. Meister Raro ist doch ein böser Mensch; Alwin (Claras Bruder) hatte nicht ordentlich gespielt. ‚Du Bösewicht, Bösewicht, ist das die Freude, die du deinem Vater machen solltest??‘ - wie er ihn auf den Boden warf, bei den Haaren zauste, selber zitterte und schwankte, stille saß, um auszuruhen zu neuen Taten, auf seinen Beinen kaum mehr stehen konnte und deshalb seine Beute niederwarf, wie der Kleine bat und flehte, er solle ihm die Violine geben, er wolle spielen, er wolle spielen - kann ich nicht sagen - und zu all diesen - lächelte Zilia und setzte sich mit einer Weber’schen Sonate ruhig ans Klavier. Bin ich unter Menschen?“

(Anmerkung: Meister Raro und Zilia sind Friedrich und Clara Wiecks Davidsbündler-Pseudonyme. Im Davidsbund, eine Erfindung Robert Schumanns, fanden sich regelmäßig lebende und imaginierte Künstler im Leipziger Lokal zum Arabischen Coffee Baum zusammen.)
Die Bestürzung und Fassungslosigkeit Robert Schumanns angesichts dieser Szene steht in radikalem Kontrast zu Claras scheinbar gefühlskalter Reaktion. Zeichnen sich hier schon zwei Charaktere ab, von denen einer an seinen inneren Abgründen zerbrechen, während der andere dem Leben mit eiserner Härte trotzen wird?

Clara, das Wunderkind

Was fasziniert das Publikum des 19. Jahrhunderts so an den wie Pilze aus dem Boden sprießenden „Wunderkindern“? Es ist nicht allein der circensische Aspekt - Nein, vielmehr weckt der Anblick eines unschuldigen Kindes, das der dunklen Seite des Lebens noch nicht begegnet ist und dabei so versunken und rührsam in Tönen spricht, eine in den
Tiefen der Triebunterdrückung verschlungene Sehnsucht. Nicht zufällig heißen sie „Feen“, „Engelswesen“, „Wesen höherer Art“ und tragen scheinbar den „göttlichen Funken“.
So verpönt das Geschäft mit den „Treibhausvirtuosen“ auch ist - die Menschen können sich ihrem Bann nicht entziehen. Über Clara Schumann sinniert Johann Peter Lyser 1833:
„Es ist, als wisse das Kind eine lange, aus Lust und Schmerz gewobene Geschichte zu erzählen…“
In das Wunderkind projiziert der Hörer das Bedürfnis nach metaphysischer Erkenntnis, nach Auflösung und Jenseits - Ahnung. Kinder gelten im 19. Jahrhundert als geschlechtsneutral und asexuell, sodass auch Mädchen in der Öffentlichkeit auftreten, ja sogar „unweibliche“ Instrumente (wie zB Violine) spielen dürfen.
Zu den berühmtesten Geigenvirtuosinnen gehören die Milanollo-Schwestern (Teresa und Marie), die eine regelrechte Manie in der kulturinteressierten Bevölkerung auslösen. Teresa wird nachgesagt, sie habe ihre Liebe zur Violine in der Kirche entdeckt, was dem Kult ihrer Verehrung einen religiösen Nimbus verleiht. Als die Schwester Marie 1848 verstirbt, wird die Hinterbliebene zum Sinnbild von Himmelswähnung ikonisiert.

„Als Therese hervortrat, ergriff ein angenehmes und doch auch wiederum wehmütiges Gefühl die Zuhörerschaft. Musste sich ja doch das Publikum, welches gewohnt war, beide Schwestern zusammen erscheinen zu sehen, unwillkürlich an die junge Marie erinnern, die man sonst immer an der Seite ihrer Schwester sah, wie eine Taube neben ihrer Gefährtin, an jenes anmutige Kind, das so früh der irdischen Laufbahn, welche sich vor ihr so schön auftat, entrissen werden sollte! So drückte denn auch lang anhaltender Beifallssturm, welcher die hervorragende Virtuosin empfing, eine doppelte Huldigung aus: den Blumenkranz für das lebende Talent und den Leichenflor für das hingeschiedene, für jenen melodienreichen Engel, der nur zu bald in die himmlischen Wohnungen, in das Land der göttlichen Akkorde sich hinüberschwang“
(1849, Zeitschrift Signale anlässlich eines Konzertes in Paris)

In Claras Geburtsjahr ist außerdem die glorifizierende Erinnerung an Königin Luise von Preußen, Idealbild weiblicher Loyalität, Anmut und Natürlichkeit, noch hoch präsent und prägt das Rollenbild der Frau. Clara, die engelhafte Erscheinung, lebt den Luisen-Typ bis ins junge Erwachsenenalter, bevor sie sich allmählich zur Hohepriesterin der Kunst entwickelt und stilisiert.
In den Anfängen ihrer Karriere lehnen sich ihre Programme noch an den Zeitgeist des populären Virtuosentums an: das Publikum liebt Werke von Moscheles, Herz oder Kalkbrenner. Schon als Elfjährige tritt sie jedoch auch mit einer eigenen Komposition auf und in ihre Darbietungen integriert sie gewöhnlich improvisatorische Einlagen und Präludien - zwei Alleinstellungsmerkmale als Kind sowie als Frau. Vater Wieck ist stolz auf die Fantasie der Tochter und denkt nicht daran, sie darin zu beschneiden.
„Dass sie komponieren könnte, wollte aber niemand glauben, weil es bei Frauenzimmern von dem Alter noch niemals dagewesen. Als sie aber über ein aufgegebenes Thema phantasiert hatte, so war alles außer sich.“ (Friedrich Wieck 1830)

Auch Clara sitzt übrigens zeitlebens dem Irrtum auf, es hätte noch keine Frau vor ihr komponieren können - eine Legende und DAS Totschlag-Argument gegen das kreative Potential von Frauen.
„…ein Frauenzimmer muss nicht komponieren wollen - es konnte noch keine, sollte ich dazu bestimmt sein? Das wäre eine Arroganz, zu der mich bloß der Vater einmal in früherer Zeit verleitete.“ (Tagebuch Clara Wieck)

Bemerkenswerter Weise stößt Clara Schumann im Gegensatz zu den meisten anderen musikschaffenden Frauen allerdings kaum auf gesellschaftliche oder künstlerische Diskriminierung. Einzig ihre allein bestrittene Reise nach Paris soll ein Fiasko werden. Der Vater will sie aus Trotz und Zorn über ihre Hartnäckigkeit in puncto Robert Schumann nicht begleiten, sie hingegen will sich die Karriere nicht nehmen lassen. Ohne männlichen Schutzschild, der Akzeptanz und Teilhabe am öffentlichen Leben gewährleistet, zeigt man ihr jedoch weitgehend die kalte Schulter. Clara kennt die Grenzen ihres Spielraums als Künstlerin und als Frau - wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass sie keine Kompositionen für große Besetzungen hinterlässt. Das Eingangszitat deutet eine kritische innere Haltung gegenüber dem eigenen Komponieren an. Als freischaffende Künstlerin, für die Musik nicht nur Zeitvertreib, sondern auch Broterwerb bedeutet (immerhin muss sie nach Roberts Tod ihre sieben Kinder und sich alleine durchbringen), muss sie sich dem Kodex der Geschlechterrollen zumindest teilweise beugen.

Clara, die Hohepriesterin der Kunst

Mit Eintritt ins Erwachsenenalter ändert Clara allmählich ihre Programmkonzeptionen. Sie tritt als eine der ersten PianistInnen mit ganzen Stücken oder gar Zyklen auf, interpretiert mit Vorliebe Beethoven, Mendelssohn, Chopin und Schumann. Üblicherweise setzen sich Programme im 19. Jahrhundert eher aus einzelnen Sätzen in wechselnden Besetzungen zusammen. Das Publikum möchte unterhalten, nicht aber gefordert werden. Der Konzerttypus, wie wir ihn heute erleben, geht nicht zuletzt auf Clara Schumanns Vision eines ernsthaften, sich versenkenden Kunstgenusses zurück. Clara verabscheut Effekthascherei und gefühlsduseliges Getue. Ihr ganzer Habitus verwandelt sich im Laufe ihres Berufslebens vom Königin Luise-Typus zum Königin Viktoria-Typus: würdevoll, aufrichtig, stark und in treuer Dienerschaft einer höheren Pflicht.
Claras Klavierkonzert in a-Moll, welches sie Louis Spohr widmet, wird 1835 im Leipziger  Gewandhaus unter Leitung von Felix Mendelssohn uraufgeführt. Im gleichen Programm erklingt ein Werk von Johann Sebastian Bach sowie eines von Mendelssohn selbst. Auch Mendelssohn, der große Bach-Wiederentdecker, revolutioniert das Konzertleben durch seriöse Programme, die alte und zeitgenössische Musik kombinieren und Virtuosengeklimper entschieden ablehnen. Wahrscheinlich gehört der Antivirtuose Mendelssohn zu den wichtigsten Vorbildern Clara Schumanns. Die beiden begegnen sich das erste Mal 1832 in einem Pariser Salon auf einer der ersten großen Konzerttourneen des Wieck-Gespanns.

Auf derselben Reise lernt Clara auch Frédéric Chopin kennen, den sie hoch verehrt und der sie umgekehrt außerordentlich schätzt.
1831 hatte Clara ihre erste Komposition (vier Polonaisen) veröffentlicht. Bis auf wenige Ausnahmen bleibt sie als Komponistin den kleinen Formen verhaftet, eine für komponierende Frauen symptomatische Strategie, keinen Anstoß am Sittlichkeitsempfinden der Musikwelt zu nehmen. In der Kritik zu ihrem Auftritt als Elfjährige im Gewandhaus lesen wir:
„Clara Wieck kommt den bekannten Pianistinnen Belleville und Blahetka in Kunstfertigkeit nicht allein gleich und übertrifft diese viellicht noch…sondern sie überrascht auch höchst angenehm durch eigene zarte und gefällige, oft originelle Kompositionen“
Diese Vokabeln (zart/gefällig) finden wir in etlichen Kritiken über weibliche Künstlerinnen als Attribute sowie Garanten der Weiblichkeit.

Clara ist 1832 noch ein halbes Kind, Felix fast schon ein gemachter Mann. Später gehört Clara zu seinen Lieblingspartnern im Vierhändig-Spielen, zu seinen LieblingsinterpretInnen seiner eigenen Werke und über Clara schreibt ihr Mann Robert einst: „ein schönes Wort von Mendelssohn macht sie stundenlang glänzen“.
In etlichen ihrer Programmen präsentiert sie wenigstens eine Mendelssohnsche Komposition, häufig noch vor Drucklegung und trägt so zur Verbreitung seiner Werke maßgeblich bei.

Clara und Robert

Clara verliebt sich als Fünfzehnjährige in den deutlich älteren Robert Schumann, einem talentierten Schüler ihres Vaters. Roberts 1837 bei Friedrich Wieck schriftlich eingereichter Antrag auf die Hand Claras stößt auf vehemente Ablehnung. Nicht zuletzt fürchtet Wieck um die künstlerischen Möglichkeiten seiner Tochter in einer Ehe. An Bekannte Schumanns schreibt er: „Können Sie sich meine Clara mit dem Kinderwagen vorstellen?“
Der Kampf mit dem Vater wird beinahe sechs Jahre dauern, bevor die entschlossen und kompromisslos Liebenden im September 1840 schließlich heiraten.
Es ist eine Künstlerehe, in der die Partner sich gegenseitig inspirieren und unterstützen. Die gemeinsame Veröffentlichung eines Liederzyklus mit dem bedeutungsschweren Titel „Liebesfrühling“ manifestiert die unzertrennliche Einheit.
Bei allem Idealismus dieser Liebesheirat, im 19. Jahrhundert noch ein Novum, ist die Benachteiligung Claras in der Künstlergemeinschaft jedoch nicht zu übersehen. Sie darf nicht üben, während Robert komponiert („Mein Klavierspiel kommt wieder ganz hinten an, was immer der Fall ist, wenn Robert komponiert“) und er verliert zunehmend die Lust, sie auf Konzerttourneen zu begleiten. In die längste und exotischste gemeinsame Reise, eine große Tournee nach Russland, auf die die Schumanns auch aus finanziellen Gründen angewiesen sind, willigt Robert nur zähneknirschend und durch gutes Zureden Felix Mendelssohns ein.
Clara dankt ihm dafür in einem Brief von 1843:
„Mein Mann spricht jetzt ernstlich von unserer Reise, worüber ich sehr glücklich bin, ich weiß aber auch, wem ich dies zu danken habe. Wenn ich an den Morgen denke, wo ich in Verzweiflung zu Ihnen kam, schäme ich mich und denke, ich muss Ihnen recht kindisch erschienen sein, doch werde ich nie vergessen, wie freundlich  und geduldig Sie mich anhörten, und mit welcher Vertrauen erweckenden Teilnahme Sie allen meinen Wünschen entgegen kamen“

Die zahlreichen Kinder bedeuten für Clara außerdem eine kaum zu bewältigende Doppelbelastung. Das ist auch Robert schmerzlich bewusst:
„Clara hat eine Reihe von kleineren Stücken geschrieben, in der Erfindung so zart und musikreich, wie es ihr früher noch nicht gelungen. Aber Kinder haben und einen immer phantasierenden Mann und komponieren geht nicht zusammen. Es fehlt ihr die anhaltende Übung und das rührt mich oft, da so mancher innige Gedanke verloren geht, den sie nicht auszuführen vermag“

Dennoch lebt Clara ein intensives Künstlerleben bis ins hohe Alter und setzt sich unermüdlich für die Werke ihres Mannes ein. Rollenverteilung in einer Ehe und in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts unterlag nur in geringem Maße persönlichen Entscheidungen, stattdessen vielmehr einem über Jahrhunderte gewachsenen Prinzip der Ungleichbehandlung. Besonders die in der Zeit der Aufklärung entwickelte Idee der „natürlichen“ Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter fesselte Frauen an die private Sphäre und verbannte sie mehr oder weniger aus dem öffentlichen Raum. Im Haushaltsbuch der Schumanns findet sich folgende Notiz, die die Vorstellung von Mann und Frau als Schöpfer und Bewahrerin zwischen den Zeilen (und wahrscheinlich ungewollt) auf den Punkt bringt:
„Hiller wollte, dass auf dem Doppelmedaillon von Rietschel Clara vorne zu sehen war. Schumann widersprach und lehnte ab. Der schaffende Künstler habe Vorrang vor dem Reproduzierenden.“

Aus Claras Aufzeichnungen geht allerdings nirgends hervor, dass sie ihre Rolle als Frau jemals hinterfragt oder bedauert hätte. Sie verbindet auf spannende Weise traditionalistische Geisteshaltung mit unkonformistischer Lebensart. Sie sagt es zwar nicht, sie weiß es vielleicht auch nicht, aber sie ist auf ihre Art eine selbstbestimmte Frau und Künstlerin.

 Mozarts Kolleginnen


Eine der unpopulärsten Frauen der Musikgeschichte - verfemt als Flittchen, als liederliches, geistloses Geschöpf - ist zweifelsohne: Constanze Mozart.
Wer war diese Frau, die angebliche Sirene, die Mozart erst ins Verderben und dann in ein anonymes Armengrab manövrierte?

„Sie ist nicht hässlich, aber auch nichts weniger schön. - ihre ganze Schönheit besteht in zwei kleinen schwarzen Augen und in einem schönen Wachstum. Sie hat keinen Witz, aber gesunden Menschenverstand genug, um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können. Sie ist nicht zum Aufwand geneigt, das ist grundfalsch. - Im Gegenteil ist sie gewohnt schlecht gekleidet zu sein. (…) Das Meiste, was ein Frauenzimmer braucht, kann sie sich selbst machen. Und sie frisiert sich auch alle Tage selbst. Versteht die Hauswirtschaft, hat das beste Herz von der Welt - ich liebe sie, und sie liebt mich von Herzen. - Sagen Sie mir, ob ich eine bessere Frau wünschen könnte?“

So schreibt Mozart an seinen Vater über Constanze Weber. Diese Zeilen können wohl kaum als Charakterstudie gelesen werden, sind sie doch dazu erdacht, dem Vater eine Einwilligung und - noch wichtiger - seinen Segen für eine Heirat abzuringen. Wolfgang stellt dafür Eigenschaften heraus, die Leopold überzeugen sollen: Bescheidenheit, Klugheit, gute Kenntnisse in der Hauswirtschaft, Tugend und Herz.
Leopold allerdings sieht in allen „Weberischen“ dämonische Verführerinnen, die den Sohn vom rechten Weg und von der vielversprechenden Karriere abbringen.
Als Wolfgang auf seiner legendären Reise gen Paris ohne Begleitung des ambitionierten Vaters das Hirngespinst entwickelt, mit seiner ersten großen Liebe Aloisia Weber auf Konzertreise nach Italien aufzubrechen, anstatt wie vereinbart nach Paris zu reisen, um eine Festanstellung zu erringen, gerät Leopold regelrecht in Panik:

„es kommt nur auf deine Vernunft und Lebensart an, ob du als ein gemeiner Tonkünstler, auf den die ganze Welt vergisst, oder als ein berühmter Kapellmeister, von dem die Nachwelt auch noch in Büchern liest - ob du von einem Weibsbild etwa eingeschläfert mit einer Stube voll notleidenden Kindern auf einem Strohsack oder mit Vergnügen, Ehre und Nachruhm sterben willst?“

Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass auch Männer in Schnürleibern gesellschaftlicher Norm und Maßregelung gegängelt und Entscheidungen, die weniger der Ratio als vielmehr der Emotion entspringen, zuweilen kaum in Betracht gezogen wurden. Gleichzeitig lassen Leopolds Worte den aufklärerischen Gedanken durchscheinen, dass ein jeder seines Glückes Schmied und durch Vernunft und Tugend zu allem in der Lage ist.
Bekanntschaft mit der begabten Sopranistin Aloisia macht Mozart in Mannheim. Aloisias Vater Fridolin arbeitet dort als Bassist, Souffleur und Kopist - Mozart lässt einige seiner Werke von ihm kopieren.
In Mannheim begegnet er auch der Pianistin Rose Cannabich, Tochter des unter Kurfürst Carl Theodor angestellten Musikers Christian Cannabich. Zunächst vermutlich in der Hoffnung über Christian Cannabich die Aussicht auf eine Anstellung in der inspirierenden, progressiven und europaweit bekannten Mannheimer Hofkapelle zu steigern, erteilt Wolfgang der eifrigen Klavierspielerin Rose Lektionen. Die in Mannheim entstandene Klaviersonate C-Dur, KV 309 gehört zu der seltenen Form des Charakter-Portraits („wie das Andante - so ist sie“).
In Mannheim besteht im 18. Jahrhundert bereits Schulpflicht auch für Mädchen und im Radius der Mannheimer Hofkapelle bewegen sich etliche begabte junge Musikerinnen. Sie spielen Klavier, Theater oder singen - und sind einigermaßen gebildet. Einige machen internationale Karriere wie Margarethe Danzi und Franziska Lebrun.
Franziska Lebruns und Margarethe Danzis Biografien kreuzen sich in mehreren Hinsichten: die bedeutende Karriere als Sängerin, das künstlerische Zentrum des Mannheimer - später Münchner - Hofs, eine Lehrerin/Schülerin Beziehung sowie ein angeheiratetes Verwandtschaftsverhältnis.
 Margarethe Marchand (später Danzi) wird als Tochter des Münchner Theaterdirektors Theobald Marchand geboren. Sie steht schon als Kind schauspielernd, singend und klavierspielend auf der Bühne. Ihren ersten Unterricht erhält sie bei ihrer späteren Schwägerin Franziska Lebrun (damals noch Danzi). Margarethes offizielles Debüt als Opernsängerin (sie war längst am Mannheimer, dann Münchner Hof angestellt und als musikalische Kapazität bekannt) feiert sie dann ausgerechnet als Vertretung für Franziska Lebrun 1787 in Abbé Voglers Castor e Polluce. Später sollte sie sich vor allem in Mozartschen Figuren wie Fiordiligi oder Susanna einen Namen machen.
In den Jahren 1781 - 1784 lebt sie gemeinsam mit ihrem Bruder im Hause Leopold Mozart, von welchem die Geschwister musikalisch unterwiesen werden. Leopold berichtet 1782 in einem Brief an Breitkopf und Härtel:

Unterdessen habe ich eine Unterhaltung mit zwei Schülern, dem 12jährigen Sohne und dem 14jährigen Töchterchen des Herrn Marchand, Theater Directors in München, die bey mir in Erziehung sind, und ich Hoffnung habe, an dem Knaben einen großen Violin- und Klavierspieler, und an dem Mädchen eine gute Sängerin und vortreffliche Klavierspielerin zu bilden“

Leopold ist überzeugt vom Talent der Gretl, wie man sie bei Familie Mozart nennt, und ermutigt sie zum Komponieren. Sein Versuch, ihre Sonaten für Violine und Klavier bei Torricella in Wien verlegen zu lassen, scheitert zwar, zeugt jedoch von Leopolds Wertschätzung und Unvoreingenommenheit. Ihre wenigen gedruckten Kompositionen erscheinen später bei Falter in München. Margarethe heiratet 1790 Franziskas Bruder Franz Danzi, Cellist und Komponist am Mannheimer/Münchner Hof. Die Ehe ist für beide ein persönlicher wie beruflicher Segen. Franz liebt und schätzt seine Frau über die Maßen, die beiden verleben mehrjährige Kunstreisen gemeinsam. Nach Margarethes Tod fällt Franz in eine schwere Lebens- und Schaffenskrise, unterbricht vorübergehend das Komponieren und tritt eine neue Stellung in Stuttgart an. Er fühlt sich nicht mehr in der Lage, Opern zu dirigieren, in denen vormals seine Frau in den Hauptrollen brilliert hatte. Margarethe Danzi muss eine hochbegabte, charismatische Künstlerin gewesen sein. Die Allgemeine Musikalische Zeitung schrieb 1801 in einem Nachruf über sie:
 „Ihre Kompositionen sind ganz der Aushauch einer originell denkenden und tief empfindenden Seele.“

Franziska Danzi (später Lebrun) wächst musikalisch im Geist der Mannheimer Schule auf. Ihr Vater, Innocenz Danzi, ist Cellist am Mannheimer Hof, ihre Mutter Barbara Danzi, geb. Toeschi, Sängerin, ihr wichtigster Lehrer (neben den Eltern) Georg Joseph (Abbé) Vogler.
 Den ersten öffentlichen Erfolgen der erst sechzehnjährigen wohnte 1772 Charles Burney in Schwetzingen bei und bemerkt:

 „Francesca Danzi, ein deutsches Frauenzimmer, deren Stimme und Singart brillant sind; sie hat dabei einen artigen Wuchs, einen guten Triller, und einen Vortrag, der so wahr italienisch ist, als ob sie ihr ganzes Leben in Italien zugebracht hätte. Kurz, sie ist schon eine sehr angenehme Sängerin und verspricht noch weit mehr; denn sie ist jung und diesen Sommer zum ersten Male aufs Theater gekommen.“

Sie gehört mit ihrem Ehemann, dem Oboisten Ludwig August Lebrun zu den bestbezahlten MusikerInnen am Münchner Hof. Mehrere langjährige Auslandsaufenthalte in ganz Europa, die die Eheleute quasi lediglich für die Karnevalszeit unterbrechen, um ihren vertraglichen Verpflichtungen im Münchner Ensemble nachzukommen, machen die Primadonna international bekannt. Während eines Londoner Aufenthaltes entstehen auch die beiden Opera mit jeweils sechs Sonaten für Klavier und Violine (ca. 1780), welche ab 1785 von etlichen renommierten Verlagen in London, Paris, Offenbach, Mannheim und Amsterdam nachgedruckt werden - die Kompositionen erfreuten sich offensichtlich großer Beliebtheit.
 Vom plötzlichen Tod ihres Mannes 1790, mit dem sie eine harmonische und künstlerisch befruchtende Ehe geführt hatte, ist sie so tief erschüttert, dass nicht nur ihre Karriere abrupt endet, sondern bald darauf auch ihr Ableben folgt. Seit eineinhalb Jahren in Berlin unter frenetischem Erfolg beispielsweise in Reichhardts Brenno zu hören, stirbt sie im Mai 1791 auf der Höhe ihres Erfolgs.
Christian Friedrich Daniel Schubart sinniert noch in den 1830er Jahren über die Künstlerin:
"Unter allen bis jetzt lebenden Sängerinnen brachte noch keine ihre Stimme zu der bewundernswürdigen Höhe, als sie; denn sie erreichte mit derselben das dreigestrichene a, und zwar nicht mit stumpfer Intonirung, sondern mit Klarheit und Deutlichkeit. Die Coloraturen, sie mögen so schwer seyn als sie wollen, bringt sie mit vieler Richtigkeit heraus; nur ist in rührenden und gefühlvollen Arien ihr Ton nicht dick genug. Sie scheint mehr glänzen, als das Herz treffen zu wollen, auch scheint ihr Geist mehr Neigung zum komischen, als zum tragischen Vortrage zu haben. Sie war zugleich eine elegante Clavierspielerin und setzte sich für ihr Instrument mehrere Sonaten, die voll schöner Harmonie und innigem Gefühl sind."

Mozarts 1777 in Begleitung seiner Mutter angetretene Reise führt vor der Ankunft in Mannheim zunächst über München nach Augsburg, der Geburtsstadt seines Vaters. Dort möchte er den Klavierbauer Andreas Stein, dessen Instrumente er besonders schätzt, inkognito aufsuchen und stellt sich dort als ein gewisser Herr Trazom vor. Auch Andreas Stein hat eine musizierende Tochter, die bereits als Achtjährige potentiellen Käufern die hochwertigen Instrumente vorstellt. Nannette Stein, vom Vater zur Klavierbauerin ausgebildet, wird später das Geschäft übernehmen und in Wien zu einer der bedeutendsten Klavierfirmen aufbauen.

In Augsburg lernt Mozart außerdem seine Cousine Marian Anna Thekla, eine lebenslustige, temperamentvolle junge Frau kennen, mit der er ein Leben lang in Korrespondenz stehen wird. Den beiden wird in der Geschichtsschreibung gerne eine erotische Beziehung nachgesagt - rein spekulativ. Die teilweise deftig anzügliche Sprache, Fäkalausdrücke und die erotischen Anspielungen („mein Violoncellchen“), mit denen Mozarts Briefe an das „Bäsle“ gepfeffert sind, bewegen sich durchaus in sprachlichen Gepflogenheiten des 18. Jahrhunderts - besonders im Kreis der Familie Mozart ist man nicht gerade verklemmt. Diese Zeilen an Maria Anna Thekla geben einen Eindruck von Mozarts Sprachwitz und herzhaftem Humor:

„jetzt wünsch ich eine gute Nacht, scheißen Sie ins Bett, dass  es kracht; schlafens gesund, reckens den Arsch zum Mund; Ich gehe jetzt nach Schlaraffen, und tue ein wenig schlafen. Morgen werden wir uns gescheit sprechen brechen. Ich sag Ihnen eine Sache Menge zu haben (…) leben Sie wohl unterdessen, ach mein Arsch brennt mich wie Feuer! was muss das nicht bedeuten! Vielleicht will Dreck heraus? Ja, ja, Dreck, ich kenne dich, sehe dich und schmecke dich - und - was ist das? - Ists möglich! - Ihr Götter! - Mein Ohr, betrügst du mich nicht? - Nein, es ist schon so - welch langer, trauriger Ton!“

Zurück zu Constanze:

Die ersehnte Hochzeit mit Aloisia war nicht zu Stande gekommen. Nachdem Mozarts Mutter in Paris verstorben, die Bemühungen um eine Anstellung fehlgeschlagen, kurzum - das ganze Projekt der Eigenständigkeit vorläufig im finanziellen und künstlerischen Desaster geendet war - musste Wolfgang bei seiner Rückkehr nach Mannheim auch noch die Schmach Aloisias Abweisung verwinden.

1781, Mozart war dem vergleichsweise provinziellen Salzburg inzwischen in die Kulturmetropole Wien abtrünnig geworden, trifft er erneut auf die Familie Weber. Aloisia, inzwischen gefeierte Sängerin, war 1779 „erste Hofsängerin“ in Wien geworden, die ganze Familie gefolgt. Mozart logiert bei Familie Weber und entwickelt eine ernsthafte und beständige Liebe zu Constanze, die er schließlich ohne Einwilligung des Vaters zur Frau nimmt. Die beiden sind Komplizen, Liebende, sie musizieren gemeinsam (Constanze singt etliche Rollen in Mozarts Opern), gehen auf Reisen und beteiligen sich am regen gesellschaftlichen Leben der pulsierenden Wahlheimat Wien.
(Ist es Zufall, dass jeweils eine Frau entscheidend dazu beiträgt, dass Wolfgang sich der Kontrolle des Vaters endlich einmal konsequent entzieht?)
Wien ist eine liberale Stadt, in der Frauen durchaus am öffentlichen Leben beteiligt sind. Kein Wunder also, dass Wolfgang seiner geliebten Schwester anrät, ihm nach Wien zu folgen und sich als Musikerin selbständig zu machen. Vielleicht dient ihm ja auch ganz konkret eine Kollegin namens Josepha Barbara von Auernhammer als reales Beispiel einer Pianistin mit professionellen Ambitionen. Voller Ernsthaftigkeit und kollegialem Respekt berichtet er 1781 Vater Leopold über seine Schülerin Auernhammer:

„sie hat mir ihren Plan (als ein Geheimnis entdeckt), der ist, noch 2 oder 3 Jahr rechtschaffen zu studiren, und dann nach Paris zu gehen, und Metier davon zu machen. denn sie sagt, „ich bin nicht schön; o contraire hässlich. einen Kanzley Helden mit 3 oder 400 Gulden mag ich nicht heiraten, und keinen anderen bekomme ich nicht; mithin bleib ich lieber so und will von meinem Talent leben.“ und da hat sie recht; sie bat mich also ihr beyzustehen, um ihren Plan ausführen zu können. - aber sie möchte es niemand vorher sagen.“
Bemerkenswert, mit welcher Wertschätzung Mozart seiner Kollegin gegenübersteht. In seinen Worten klingt nicht der leiseste Hauch von Spott.
Die geplante Reise nach Paris wird sie zwar niemals antreten, dafür aber als freischaffende Künstlerin in Wien ihr Berufsleben bestreiten. Sie ist eine der vier im Wiener Jahrbuch aufgeführten Berufsmusikerinnen. Der Schritt von der Liebhaberei zur Professionalität war besonders für Frauen häufig kaum zu bewerkstelligen.
Mozart, dessen Werken Auernhammer teilweise ab 1781 zu ihrer Verlegung verhilft, widmet ihr sechs Violinsonaten.
Die Sonate B-Dur KV 454 aus einem späteren Band (1784) nimmt eine besondere Rolle ein. Zu jener Zeit hält sich in Wien eine Geigerin der Extra-Klasse auf, Alumna eines der berühmten venezianischen Konservatorien: Regina Strinasacchi. Ihr ist die Sonate in B-Dur auf den Leib geschrieben. Regina gehört zu den wenigen öffentlich konzertierenden Frauen, die sich für die Violine als Ausdrucksmittel entschieden haben. Auch Vater Leopold schmilzt dahin, als er einst in Salzburg die Ausnahmeerscheinung erlebt:

„Sie spielt keine Note ohne Empfindung, so gar bei der Sinfonie spielte sie alles mit Expression, und ihr Adagio kann kein Mensch mit mehr Empfindung und rührender spielen als sie; und eben so schön ist ihr Ton, und auch Kraft des Tones. Überhaupt finde ich, dass ein Frauenzimmer, das Talent hat, mehr mit Ausdruck spielt, als eine Mannsperson.“ (Leopold Mozart an seine Tochter Nannerl)

Regina spielt eine Stradivari, die später Louis Spohr übernimmt, zusammen mit dem Amt des Konzertmeisters in Gotha, das sie zuvor (sehr wahrscheinlich) bekleidet hatte.
Josepha Auernhammer verlässt ihre Heimat nicht, sie brilliert auch nicht mit einer steilen Karriere, aber sie bleibt ihrem Plan treu, von der Musik „Metier zu machen“ - als Pianistin und Pädagogin.
Auernhammer veranstaltet regelmäßig eigene Akademien im Burg- oder Kärntnertortheater, in denen auch Wolfgang mitwirkt. Am 6. Mai 1782 treten die beiden KünstlerInnen mit dem Konzert für zwei Klaviere KV 365 öffentlich auf, am 3. November spielt Mozart in einer Akademie Auernhammers im Kärntnertortheater. Nach dem Tod Josephas Vaters vermittelt Wolfgang ihr eine Unterkunft bei Baronin Maria Elisabeth Waldstätten, die wiederum eine der wichtigsten Unterstützerinnen Mozarts in seinen ersten Wiener Jahren war. Josepha Auernhammer arbeitet auch nach ihrer (vormals nicht einkalkulierten) Heirat mit einem „Kanzlei-Helden“ weiterhin als Musikerin und interpretiert in fast allen ihren Konzerten auch Werke Mozarts.

Constanze wird nach dem Tod ihres Mannes allerdings den größten Beitrag zum Erhalt und der Pflege seines musikalischen Erbes leisten. Gemeinsam mit ihrem zweiten Mann
Georg Nikolaus Nissen arbeitet sie an einer umfangreichen Mozart-Biografie und sie ist Mitgründerin des Mozarteum in Salzburg.
Nach Mozarts Tod verscherbelt sie nicht etwa seine Manuskripte, sondern verkauft sie erst um 1800, sorgfältig gesammelt und sortiert größtenteils an den Verleger André in Offenbach. Es ist maßgeblich ihr zu verdanken, dass Mozarts Nachlass nicht in alle Winde verweht wurde. Um sich und ihre zwei Kinder nach Mozarts Tod durchzubringen, veranstaltet sie musikalische Soiréen und unternimmt eine Konzertreise mit Mozarts Werken. 

„Allerliebstes Herzensweibchen“ nennt Wolfgang sie, alle seine Briefe an die geliebte Auserwählte, die er ohne karrieristische oder gesellschaftliche Vorteilsnahme geheiratet hatte, sind gezeichnet von Innigkeit, Zärtlichkeit und tiefer Verbundenheit. 
Das Vorurteil des lieblosen, raffgierigen und treulosen Luders ist historisch nicht belegbar. Weiß der Teufel, warum Frauen in der Geschichtsschreibung notorisch für diffamierende Attacken herhalten müssen…

Maddalena Lombardini-Sirmen (1747 - 1818)


Die bemerkenswerteste Musik hier in Venedig ist die der Hospitäler. Es gibt deren vier, alle werden bewohnt von unehelichen Töchtern oder Waisenmädchen, oder solchen, die ihre Eltern nicht aufzuziehen im Stande sind. Sie werden auf Kosten des Staates erzogen, und man bildet sie dazu aus, in der Musik zu glänzen. Sie singen wie die Engel, und spielen Violine, Flöte, Orgel, Oboe, Violoncello, kurz, kein Instrument ist so groß, dass es ihnen Angst machen würde. Sie leben zurückgezogen wie Nonnen. Bei jedem Konzert wirken ungefähr 40 von ihnen mit. Ich versichere Ihnen, es gibt nichts Reizenderes als den Anblick einer hübschen jungen Nonne, im weißen Habit und mit einem Granatapfelsträußchen hinter dem Ohr, die ein Orchester leitet und mit größter Anmut und Präzision den Takt schlägt.“ (der französische Gelehrte Charles de Brosses in einem Brief vom August 1739)

Bis in das späte 18. Jahrhundert ist ganz Europa hingerissen, fasziniert, ja: ungläubig angesichts der berühmten Ospedali und ihren Figlie di Coro in Venedig. Ursprünglich als Spitäler oder Armenhäuser mit angegliederten Waisenhäusern gegründet, avancieren die kirchlichen Institutionen im Laufe der Jahrhunderte zu hochkarätigen Ausbildungsstätten für musikalisch hochbegabte Mädchen. Elternlose oder uneheliche Mädchen oder auch Mädchen aus so armen Verhältnissen, dass sie für ihre Familien nicht tragbar sind, finden hier weit mehr als ein Dach über dem Kopf. Diejenigen, die sich als geeignet für den Coro erweisen, sind von alltäglicher Arbeit im Ospedale befreit, werden teilweise sogar entlohnt und steigern mit der exklusiven künstlerischen Ausbildung ihren Marktwert als Braut um ein vielfaches. Maddalena Lombardini gehört zu denjenigen, die im Kindesalter als Tochter zahlungsfähiger Eltern allein für das musikalische Studium einen Platz am Ospedale San Lazzaro dei Mendicanti ergattern. Das Ospedale dei Mendicanti war 1182 als Spital für Leprakranke gegründet worden.
30 Mädchen bewerben sich hier 1753 auf insgesamt vier Plätze. Maddalena gehört zu den Auserwählten und unterrichtet als Vierzehnjährige bereits selbst jüngere Schülerinnen. Zu ihren Lehrenden gehört wahrscheinlich Antonia Cubli, Tartini-Schülerin und Maestro di Coro im Ospedale dei Mendicanti. Nach einer mehrjährigen Ausbildung verpflichtet sich eine jede Figlia di Coro zu zehnjähriger Mitwirkung als Instrumentalistin bzw. Sängerin. Danach kann sie im Ospedale als Lehrerin und Musikerin verbleiben, als Nonne in ein Kloster eintreten, heiraten oder ihr Glück als eigenständige Künstlerin versuchen.

„Um mich genauer mit der Einrichtung der Conservatorien bekannt zu machen, und meine hiesigen musikalischen Untersuchungen zu endigen, erhielt ich die Erlaubniß, in die Musikschule der Mendicanti zu kommen, und hörte ein Concert, welches bloß mir zu Gefallen war angestellt worden; es währte zwey Stunden, und die besten Sängerinnen und Spielerinnen waren dabey. Es war wirklich merkwürdig, jede Stimme dieses vortreflichen [sic] Concerts, mit Frauenzimmer so wohl besetzt zu sehen als zu hören, die Violinen, Bratschen, Violonschelle, Flügel, Waldhörner, ja gar den Contraviolon spielten. Die Priorinn [sic], eine schon bejahrte Frau führte sie an; die erste Violine ward von Antonia Cubli von
griechischer Herkunft gespielt; den Flügel spielten bald Francesca Rossi, Maestradel Coro, bald aber andre.“ (Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise)

Die wohl populärste Figur in der Geschichte der venezianischen Ospedali, der Prete Rosso, Antonio Vivaldi, lehrte fast 40 Jahre am Ospedale della Pietà, das vor allem für seine hervorragenden Instrumentalistinnen bekannt war. Zu Vivaldis Zöglingen gehörte Anna Maria del Violino (Nachnamen wurden den Mädchen in der Regel nicht verliehen), eine Koryphäe auf ihrem Instrument - Über dreißig Violinkonzerte schrieb Vivaldi ihr in die geschickten Hände. Aus ihrem Nachlass ist ein etwa 160 Seiten langes Notenbuch erhalten, das sowohl etliche dieser Konzerte, als auch ihre selbst ergänzten Verzierungen enthält - ein wahrer Schatz für Enthusiasten der historischen Aufführungspraxis! In einem Lobgedicht heißt es über sie:

nun also, den weg geleitend
wie der Führer einer Truppe
kommt die tüchtige Annamaria
wahrhaftig Verkörperung des Guten, Schönen

Die Violine spielt sie auf eine Art und Weise,
ins Paradies aufsteigend, der sie hört,
falls es wahr ist, dass in jener Sphäre
die Engel in dieser Weise spielen.

Welcher Könner spielt wie sie
das Cembalo oder die Violine
das Violincello, die Viola d’Amore
Laute Thiorbe und Mandoline

Beherrschte Anna Maria tatsächlich all diese unterschiedlichen Instrumente? Dem Verweis auf die Engelhaftigkeit, dem „Nicht-von-dieser-Welt-Sein“ und der Versinnbildlichung des Guten in der Figur einer musizierenden, doch zurückgezogen lebenden Frau, fügt der Autor hier den Aspekt der Konkurrenzlosigkeit auch gegenüber männlichen Kollegen hinzu. Ähnliche Vergleiche finden wir in Kritiken über Maddalena Lombardini und Regina Strinasacchi, in denen darauf hingewiesen wird, dass diese Damen sich durchaus mit männlichen Instrumentalisten zu messen im Stande sind. (Die ritualisierte Betonung der Ausnahme manifestiert allerdings die herbeigeredete Regel, anstatt sie zu entkräften.)

Schon in den Anfängen musikalischer Darbietungen der Figlie di Coro schwingt immer auch ein erotischer Reiz mit. So lesen wir in der Ballade Veneta (venezianische Zeitung) von 1687:

„Signora Angela Vicenda übernahm den Part der Jungfrau Maria…diese himmlische Sirene sang und entfachte so großen Jubel in der Brust der Sterblichen, dass das Herz aus lauter Freude vergaß, die lebensnotwendige Luft einzuatmen. Welche Einzigartigkeit! Welche unpassierbaren Wege der Süße, die sie mal laut, mal leise beschreitet, welche Echos der Melodie dieser engelsgleichen Stimme! Und nicht zuletzt, welch Wunder der Kunst!“

In diesen Worten drückt sich abermals die Projektion weltentrückter Sehnsüchte auf musizierende Frauen aus. Die Parallele zu Wunderkindern des 19. Jahrhunderts, die von der Öffentlichkeit tendenziell ebenso als „Engelswesen“ wahrgenommen wurden, ist kaum zu übersehen.
Erotische Spannung ist immer auch verbunden mit einer schwer greifbaren Gefahr, den Pfad der Tugend aus den Augen zu verlieren - der Autor verwendet gewiss nicht unbedacht den Topos der Sirene.

Meist waren die Musikerinnen zwar zu hören, allerdings unsichtbar - bei ihren wöchentlichen Auftritten samstags und sonntags in den jeweiligen Kirchen positionierten sie sich auf den Emporen hinter blickdichten Gittern oder Vorhängen.
Einzig bei zu besonderen Anlässen dargebotenen Gemeinschaftskonzerten aller vier Ospedali mit bis zu 200 Musikerinnen waren die Figlie in ihrer ganzen Leibhaftigkeit zu erleben. 
Sicher war auch Maddalena Lombardini einst Teil solcher Mammut-Konzerte. Allerdings entscheidet sie sich, anders als ihre Lehrerin Antonia, für ein Musikerinnenleben außerhalb des steinernen und sozialen Schutzwalls des Ospedale. 1760 nimmt sie erstmals Kontakt mit dem Geiger Giuseppe Tartini auf, Galionsfigur der Violintechnik im 18. Jahrhundert. Bevor das Ospedale ihr mehrer Studienaufenthalte (1760, 1761,1764) bei Tartini in Padua finanziert, berät dieser sie zunächst schriftlich. In einem für historische Aufführungspraxis einzigartigen Dokument, einem Brief  Tartinis an seine Schülerin bündelt der Meister seine Auffassung von effizientem Üben und instrumentaler Ästhetik in einen systematischen Studier-Plan.
Bemerkenswerter Weise umweht auch um Tartini der Mythos, er habe mit höheren Mächten korrespondiert. Allerdings ist er weniger im Besitz himmlischer Kräfte, als vielmehr im Bündnis mit dem Teufel.
Tartini, der eigentlich Priester werden sollte, sich dann aber für die Jurisprudenz entscheidet, mehr Zeit beim Fechten als über den Büchern verbringt und zu allem Überfluss noch ein Mädchen heiraten will, das für seinen Stand nicht angemessen ist, flüchtet sich schließlich 1710 in das Kloster San Francesco in Assisi. Hier widmet er seine Tage obsessiven Exerzitien des Geigenspiels. Eines Nachts soll ihm der Teufel erschienen und eine über- oder vielmehr unterirdisch betörende Melodie vorgespielt haben. Sein Versuch, die Melodie am nächsten Morgen schriftlich zu fixieren, brachte seiner Schilderung nach allenfalls einen Schatten der ursprünglichen Kraft zu Papier - die berühmte Teufelstriller-Sonate.

Maddalena heiratet 1767 den Geiger Ludovico Sirmen, vermutlich ein Arrangement auf Tartinis Initiative. Das Künstler-Paar unternimmt 1767/68 die erste gemeinsame Konzertreise über Turin und Faenza nach Paris. Maddalena tritt hier in den Concerts Spirituels auf und lässt ihre Trios Op. 1 sowie ihre sechs Streichquartette verlegen. 

„Das heutige Konzert war brillant. Bei den Musikliebhabern erregte eine Geigerin besonderes Aufsehen. Madame Sirmen, eine hübsche, junge Frau aus Venedig, spielte gemeinsam mit ihrem Ehemann ein Konzert von ihrer eigenen Komposition. [...] Ihr wurde stark applaudiert. Wir fanden Wahrheit, Reinheit und Gefälligkeit in ihrem Spiel; sie verlieh dem Adagio die Sensibilität, die ihrem Geschlecht so eigen ist. Dennoch, sie spielte die Violine in solch einem hohen Grad an Perfektion, dass wir nur sagen können, dass die Virtuosin den großen Meistern gleicht wenn nicht sie sogar übertrifft.“
(Kritik des ersten Konzertes von Maddalena Sirmen in den Concerts Spirituels in Paris am 15. August 1768)

1771 reist Maddalena weiter nach London, ab jetzt ohne ihren Ehemann. Sie glänzt in Oratorienaufführungen und Privatakademien, vermutlich auch in den legendären Bach-Abelkonzerten. Weitere Veröffentlichungen mit Violinkonzerten und Duetten realisiert der Londoner Verleger William Napier. In London tritt Maddalena auch zum ersten Mal öffentlich als Sängerin in Erscheinung. Diese zweite Laufbahn führt sie später als Primadonna nach Dresden, wo sie horrende Gagen einstreicht.
Erst 1783 leben und reisen die Eheleute Maddalena und Ludovico (nachweislich) wieder zusammen, zunächst in St. Petersburg, später erneut in Paris. Maddalenas tartinisches Geigenspiel ist inzwischen allerdings aus der Mode gekommen.

„Mme. Siremen, die sich vor 14 Jahren hier auf der Geige hören ließ, ist neuerlich aufgetreten; aber man kann nicht verhehlen, dass der Eindruck, den sie erzielt hat, weniger günstig war. Mme. Siremen hat die Grundsätze der großen Tartini-Schule, die heute vielleicht zu sehr in Vergessenheit geraten sind, bewahrt, eine reizvolle Tongebung, hübsche Fingerfertigkeit, einen interessanten und anmutigen Vortrag, zu dem die besondere Grazie ihres Geschlechts noch hinzu kommt; aber ihr Stil, derselbe wie vor 14 Jahren, ist vollkommen veraltet; seit man die Klänge durch Noten ersetzt hat, die gesanglichen Linien durch virtuose Kunstfertigkeit, will man nur noch imponieren. Madame Siremen kann das Ohr entzücken, aber sie imponiert nicht. Dies ist weit entfernt von einer Kritik ihrer Spielweise, aber da nun einmal diese Spielweise nicht mehr Mode ist, müssen wir ihr wohl empfehlen, Konzerte in einem zeitgemäßeren Stil zu spielen, und wir zweifeln nicht daran, dass sie damit ebensoviel Anerkennung finden wird, wie sie sie damals erzielt hat“ (Mercure de France 14. Mai 1785.).